Sonntag, 6. Dezember 2015

Deutscher Kriegseintritt in Syrien: Ohne Vernunft und Menschlichkeit

Die Bundesregierung handelt im Syrien-Konflikt ohne Konzept und abseits der Humanität

Europa bietet Syrern Bomben und Stacheldraht (Bild: Freedom House)
Die Luftangriffe auf den islamischen Staat (ISIS) werden nicht dazu in der Lage sein, die Terrorgruppe zu besiegen. ISIS entstand maßgeblich infolge einer fehlgeleiteten Politik der westlichen Staatengemeinschaft in Irak, Libyen und Syrien. Diese fehlgeleitete Politik wird jetzt nicht korrigiert, sondern fortgesetzt:

  • Die militärischen Angriffee auf ISIS werden forciert, wobei die ISIS-Kämpfer sich darauf bereits vorbereitet haben und ihre Präsenz in durch sie beherrschten Städten, wie Mosul, reduziert haben. Hauptleidtragende wird die Zivilbevölkerung sein. Es ist auch mit Racheakten des ISIS zu Lasten von Zivilisten zu rechnen. Während die westliche Staatengemeinschaft und auch Russland militärisch agieren, unternehmen sie nichts, um der Zivilbevölkerung sichere Fluchtwege zu ermöglichen. 


    Die Menschen in Syrien werden so in einem Höllenort eingeschlossen und sind dem Krieg hilflos ausgeliefert. Indem die westliche Staatengemeinschaft und auch Russland keinerlei Anstrengungen unternehmen, die Menschen zu retten, sondern im Gegenteil die westlichen Staaten ihre Abschottung bei gleichzeitiger Kriegseskalation ausbauen, handeln sie mit großer Unmenschlichkeit. Sie liefern die Menschen in Syrien einem tödlichen Schicksal aus und machen damit die rein egoistischen Motive ihres Handelns deutlich.

  • Neun von 10 syrischen Flüchtlingen in der Türkei erhalten keinerlei Versorgung.  


    Doch bevor diese Menschen begannen, in die Staaten der Europäischen Union zu kommen, gab es keinerlei Interesse, ihnen zu helfen. Selbst jetzt soll vorwiegend Geld für Grenzsicherung ausgegeben werden, während die Menschen der Perspektivlosigkeit überlassen bleiben. Nicht nur in der Türkei, sondern auch in Libanon und Jordanien stehen den Menschen keine ausreichenden Versorgungsmittel zur Verfügung. Trotz aller verbaler Behauptungen und Forderungen versäumen es die westlichen Staaten und auch die Bundesregierung, den Flüchtlingen aus Syrien Versorgung und Perspektive zu geben. Eine ganze Generation syrischer Kinder wächst ohne Perspektive und Bildung auf, die Langzeitfolgen werden beträchtlich sein. Aber der Gipfel der Grausamkeit ist damit noch nicht erreicht: Amnesty International berichtet, dass die Türkei 
    Flüchtlinge aus Syrien und Irak mit Gewalt zurück in den Krieg schiebt. Angela Merkel war eine führende Kraft innerhalb der EU, die für die neue Aufgabe der Türkei gestritten hat, Menschen von den Ländern der europäischen Union fernzuhalten. Die Türkei macht so für die EU die schmutzige Arbeit und erhält hierfür Milliarden. Die Opfer dieses niederträchtigen Geschäfts sind aber Menschen, die bis auf ihr Leben alles verloren haben und denen nunmehr auch noch ihr Leben droht, genommen zu werden. 

  • Jahrelang wurde der angestrebte Beitritt der Türkei in die europäische Union gerade auch durch die Bundesregierung und persönlich durch Angela Merkel sabotiert. Dieser angestrebte Beitritt wurde zu einer Zeit sabotiert, als die Türkei rechtsstaatliche Reformen in die Wege leitete, sich demokratisierte und dabei war, den Konflikt mit den Kurden zu beenden. Eine Integration in die EU hätte damals diese Prozesse vermutlich zum Abschluss bringen können. Damit die Türkei ihre Grenzen gegen Flüchtlinge absichert, sind die deutsche Bundesregierung und die westeuropäischen Staaten nunmehr aber dabei, sich an eine Türkei anzunähern und dieser weit entgegenzukommen, die massiv die Menschenrechte verletzt. Das Entgegenkommen gegenüber der Türkei geschieht in einer Zeit, in der Menschenrechtsanwälte in der Türkei auf offener Straße erschossen werden und Journalisten, die die Unterstützung der türkischen Regierung für islamistische Milizen in Syrien aufdeckten, sich in Haft befinden. Ebenfalls liegt der Friedensprozess mit den Kurden in Trümmern. Die Bundesregierung unter Angela Merkel und die anderen westlichen Staaten belohnen Menschenrechtsverletzungen und zeigen damit ihren Willen, Prinzipien einer freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft abzugeben, wenn dies dazu führt, dass Flüchtlinge durch die Türkei festgehalten oder gar nicht erst in die Türkei hereingelassen werden. Menschenrechtsrhetorik und das Bekenntnis zu einer Wertegemeinschaft werden so als reine verbale Floskeln demaskiert. Der Westen verliert alle Glaubwürdigkeit.

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    Syrische Flüchtlinge auf den Straßen Istanbuls, Bild: Ümit Oğuz Göksel
  • Die westliche Staatengemeinschaft verbleibt in enger Bündnisgemeinschaft mit Saudi-Arabien, welches durch schwere Menschenrechtsverletzungen im Inneren, einen radikalen fundamentalistischen Islam, den es exportiert, sowie einen menschenverachtenden Krieg im Jemen auffällt, der bisher tausende Zivilisten tötete, 1,5 Millionen Menschen vertrieb und 13 Millionen Menschen im Jemen der akuten Bedrohung durch Hunger aussetzt. Private Spendengelder aus Saudi-Arabien ermöglichten es zudem der ISIS, sich zu konsolidieren, noch bevor sie in den Ölhandel einstieg. Niemand hatte ernsthafte Schritte unternommen, diese Spendenflüsse zu stoppen. Saudi-Arabien hat auch – mit Unterstützung der Türkei und aktiver Duldung durch den Westen – Waffen und Ausrüstung an islamistische Rebellen in Syrien geliefert. Saudi-Arabien ist derzeit Teil des Problems in Syrien,wobei sein Fehlverhalten durch die westliche Staatengemeinschaft akzeptiert wird, die trotz alledem keinen Zweifel an ihrem engen Bündnis mit dem saudischen Gottesstaat aufkommen lässt. Gleichzeitig bemühen Islamhasser, Pegida und AfD zynischerweise ausgerechnet das negative Beispiel Saudi-Arabiens, mit dem die westlichen Staaten verbündet sind, um Fremdenfeindlichkeit zu verbreiten.

  • Die Bundesregierung und die anderen westlichen Staaten zeigen keinerlei Konzept, wie der Krieg gegen ISIS gewonnen werden soll. Nach wie vor sind die westlichen Staaten eher bereit, Massenelend, Vernichtung und Vertreibung in Syrien hinzunehmen, anstatt endlich mit aller Entschlossenheit auf eine Verständigung aller nicht-dschihadistischen Kräfte, einschließlich des Assad-Regimes, hinzuwirken, um das Leid der Menschen so schnell als möglich zu beenden. Nur bei einer solchen Verständigung könnte es möglich sein, dass die Syrer selbst die ISIS besiegen. Eine solche Verständigung müsste aber Kompromissbereitschaft beinhalten und allen Beteiligten eine Teilnahme am künftigen politischen Prozess in Syrien ermöglichen. Dies kommt keiner Unterstützung oder Legitimierung Assads gleich, sondern entspringt der Notwendigkeit, um der Menschen willen eine Lösung zu finden. Kompromisslosigkeit, um das eigene Gesicht nicht zu verlieren und das Scheitern der eigenen Politik nicht öffentlich eingestehen zu müssen, ist für die Menschen in Syrien demgegenüber tödlich.

  • Die westlichen Staaten haben es hingenommen, dass durch sie finanzierte Rebellengruppen im de facto Bündnis mit radikal-islamistischen Kräften, wie der al-Nusra-Front als offizieller Vertreterin der al-Qaida in Syrien, gekämpft haben und dies auch weiterhin tun. Gelieferte Waffen gelangten so oftmals letztlich in die Hände des ISIS. Zudem kennzeichnet sich die al-Nusra-Front durch eine vergleichbare Brutalität, auch wenn sie ihre Verbrechen weniger stark durch Videomaterial dokumentatorisch festhält. Aktuell ruft der Vorsitzender der durch den Westen und die Golf-Staaten unterstützten National Coalition for Syrian Revolution and Opposition Force Khaled Khoja die al-Nusra-Front auf, sich am Kampf gegen ISIS zu beteiligen. Es ist zu befürchten, dass die westlichen Staaten dieser Strategie der durch sie finanzierten Rebellen zustimmen und dadurch Syrien vom Regen in die Traufe bringen könnten. Anstatt weiterhin radikal islamistische Kräfte einbeziehen zu wollen, wäre es erforderlich, eine Verständigung aller nicht-dischhadistischen Oppositionsgruppen mit den Assad-Kräften zu ermöglichen. Diese müsste an klare Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte gekoppelt werden, welche vor dem Hintergrund dessen, dass alle Seiten um ihr Überleben kämpfen, durchaus durchsetzbar sein könnten. Grundsätzlich ist der westlichen Staatengemeinschaft bereits das Scheitern ihrer Syrienpolitik bewusst geworden. Um einen Gesichtsverlust zu vermeiden, zeigen sie aber eine nur zögerliche Veränderungsbereitschaft, womit das Leben weiterer Menschen dem eigenen Prestigeinteresse geopfert wird.

Wenn der Krieg in Syrien und das Elend der Menschen tatsächlich überwunden werden sollen, wären folgende Schritte vordringlich:

  • Sofortige Bereitstellung vieler Milliarden Euro an Geldern zu Versorgung der syrischen Flüchtlinge in Libanon, Jordanien und der Türkei, einschließlich der Bereitstellung von Bildung und medizinischer Versorgung. Aufnahme einer großen Anzahl an Flüchtlingen direkt aus Libanon, Jordanien und der Türkei, da nur so eine menschenwürdige Versorgung und eine dringende Entlastung der betroffenen Länder erreicht werden kann. Es besteht die humanitäre Verpflichtung, ausnahmslos alle Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen eine menschenwürdige Versorgung zukommen zu lassen. Es ist eine Unmenschlichkeit und Niedertracht ersten Ranges, dass die westlichen Staaten zwar nach Kräften halfen, den Krieg in Syrien zu entfesseln, sie die Menschen aber nicht aufnehmen wollen.

  • Bereitstellung sicherer Fluchtwege für die Menschen, damit sie nicht Opfer der kriegerischen Eskalation werden, sondern ihr Leben retten können. Der Massentod im Mittelmeer muss beendet werden und den Schleppern kann nur durch die Bereitstellung sicherer Fluchtwege das Handwerk gelegt werden.

  • Abstand von allen Maximalforderungen nach einem Rücktritt Assads und Akzeptanz der Realitäten in Syrien durch Durchsetzung einer Kompromisslösung mit Beteiligung aller nicht-dschihadistischen Kräfte. So könnten ISIS und al-Nusra-Front isoliert und durch die Menschen in Syrien besiegt werden.

  • Beendigung der Unterstützung islamistischer Kräfte durch Saudi-Arabien und die Türkei und Druck auf die durch den Westen unterstützten Kräfte, nicht weiterhin mit Dschihadisten zu kooperieren.

  • Ausstieg aus der Allianz mit Saudi-Arabien, die der Verbreitung eines radikalen Islamismus dient und den Jemen mit einem verheerendem Krieg überzieht. Einstellung aller Unterstützung für diesen Krieg und Druck zu seiner sofortigen Beendigung.

  • Fokus auf der Durchsetzung wirksamer Sanktionen gegen die wirtschaftlichen Betätigungen der ISIS, die ohne die Kollaboration mit Stellen in Irak, Syrien und der Türkei nicht möglich wären und dazu beitragen, die ISIS am Leben und kampffähig zu halten.

  • Beendigung der unmenschlichen Abschottungspolitik, Distanzierung vom Islamhass und konsequente Orientierung der Politik im Inneren und im Äußeren an den Menschenrechten, um ein Vorbild für Menschlichkeit zu geben, die Identifikation frustrierter oder hoffnungsloser Menschen mit ISIS als Gegenmodell zu beenden und so den Rekrutierungspool dschihadistischer Terroristen langfristig austrocknen zu können.

Nichts von alledem tut derzeit die deutsche Bundesregierung, die stattdessen nach wie vor an einer radikalen Abschottungspolitik gegenüber den Flüchtlingen mithilfe der Türkei arbeitet und ohne Vernunft in einen Bombenkrieg einsteigt, der nicht dazu geeignet ist, ISIS zu besiegen, sondern lediglich die Terrorgefahr im Inneren erhöht. Am Ende werden für Terroranschläge Flüchtlinge wohl als Sündenböcke hinhalten müssen.

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