Der fanatische Islam, der Terror, die brutale Gewalt des IS:
Das ganze Desaster wäre nicht in der Welt ohne die fatalen Interventionen des
Westens innerhalb der letzten 60 Jahre, sagt Lüders:
"Wenn man sich die
Verhältnisse in der Region, im Nahen und Mittleren Osten anschaut, Stichwort:
Entstehung der Taliban, Stichwort: Entstehung des Islamischen Staates, von Al
Quaida. Die Spuren führen immer in Richtung Washington, in Richtung
amerikanischer Politik."
Für die Recherche zu seinem Buch ist Lüders zurückgegangen
bis in die 50er Jahre.
Im Iran ereignete sich der Sündenfall schlechthin, sagt
er. Es war der Sturz des ersten demokratisch gewählten Regierung und ihres
Premierministers Mossadegh. Der wollte die iranische Erdölindustrie
verstaatlichen. 90 Prozent des in Europa gehandelten Öls stammten damals
aus dem Iran. Großbritannien sah sein Monopol auf das iranische Öl bedroht.
Zusammen mit den USA brachten sie Mossadegh durch einen präzise geplanten
Putsch zu Fall. Dabei war Amerika Mossadeghs großes Vorbild.
Eine Erfolg
versprechende Demokratie wurde zerschlagen
"Er war ein Bewunderer gerade der amerikanischen
Demokratie", so Lüders, "namentlich von Abraham Lincoln. Das alles
nützte ihm aber nichts, denn es galt als unbotmäßig, dass ein Staatschef in
einem Land der Dritten Welt sich anmaß, gegen westliche Wirtschaftsinteressen
politisch vorzugehen."
60 Jahre später veröffentlicht die CIA Dokumente, die
belegen, wie der Sturz Mossadeghs durch Großbritannien und die USA geplant
wurde. Eine Erfolg versprechende Demokratie wurde zerschlagen und gegen die
Diktatur des Schahs eingetauscht. 2009 räumte Präsident Obama in Kairo die
Beteiligung am Putsch ein. Der gegenwärtige Präsident der USA sagt damals in
seiner Rede in Kairo: "Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten
Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen
Regierung."
"Ohne diesen Putsch gegen Mossadegh hätte es die
Islamische Revolution im Iran 1979 nicht gegeben", sagt Michael Lüders,
"und diese Revolution wiederum im Iran ist Auslöser vieler anderer
Probleme, nicht zuletzt des Krieges des Iraks gegen den Iran, den Saddam
Hussein entfesselt hat."
Giftgas versus das
Wahre, Gute und Schöne
Die Geburtsstunde des fanatischen Islam: Mit der Iranischen
Revolution kam Ayatollah Khomeini an die Macht. Sein Gegenspieler war der irakische
Diktator Saddam Hussein. Hussein hätte den Krieg gegen Iran nach zwei Jahren
verloren, schreibt Lüders, wäre er nicht noch sechs weitere Jahre massiv
mit Geld und Waffen aus dem Westen unterstützt worden. Auch mit Giftgas, aus
Deutschland: "Dieses Giftgas wurde eingesetzt im Kampf gegen iranischen
Soldaten an der Front", so Lüders, "aber auch gegen die Kurden in
Halabdscha 1988.
Das alles war im Westen bekannt, wurde aber komplett
ignoriert. Erst nachdem Saddam Hussein 1990 den Tabubruch begonnen hatte und
die amerikanische Tankstelle Kuweit besetzte, hieß es auf einmal, Saddam
Hussein sei ja wie ein zweiter Hitler."
Geschäftsinteressen,
Geo- und Machtpolitik:
Das sind defacto die Gründe für die Interventionen der USA
im Nahen Osten, sagt Lüders. Amerikanische Politik folge immer den gleichen
Grundmustern: "Diese Zusammenhänge zu benennen, das mag man nicht so gerne
tun. Das wäre verbunden mit Selbstkritik. Das stimmt nicht mit dem eigenen
Selbstbild überein, wonach man stets für das Wahre, Gute und Schöne, für die
Menschenrechte, für die westlichen Werte einträte. Es ist leichter, diesen
Terror aus dem Islam heraus zu erklären, das ist er aber nur zum Teil."
"Kein 11.
September ohne Geld und Waffen für Bin Laden"
Beispiel Afghanistan: Die USA unterstützen die Mudschaheddin
und die Taliban, weil sie der Sowjetunion ihr "Vietnam-Desaster"
bescheren wollen. Dass sie damit Islamistische Fundamentalisten mit Waffen und
Know How versorgen, ist für sie zweitrangig. "Was ist für die Weltgeschichte
von größerer Bedeutung?", fragt Jimmy Carters Sicherheitsberater
Brzezinski in einem Interview, "Die Taliban oder der Zusammenbruch des
Sowjetreichs?" Eine fatale Fehleinschätzung.
"Es hätte diesen 11. September 2001 wahrscheinlich
nicht gegeben", so Lüders, "hätten die Amerikaner nicht Osama Bin
Laden über Jahre hinweg finanziert und bewaffnet, als einen der führenden
Kämpfer gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan."
"Die Büchse der
Pandora geöffnet"
2003 erfolgt der völkerrechtswidrige Einmarsch der USA in den
Irak. Hussein wird gestürzt, doch für die politische Zukunft Iraks haben die
USA offenbar keinen konkreten Plan, schreibt Lüders. Durch ihre Politik
verschärfen sie die Konflikte zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen.
Das Land versinkt im Chaos.
"Einer der größten Fehler, die die Amerikaner gemacht
haben nach dem Sturz von Saddam Hussein, war, dass sie die Armee aufgelöst
haben, die Geheimdienste und die Baath Partei von Saddam Hussein", sagt
Lüders. Damit waren über Nacht Hunderttausende Sunniten arbeitslos, die dann in
den Untergrund gegangen sind und sich heute den Reihen des Islamischen Staates
wiederfinden. Man hat gewissermaßen die Büchse der Pandora geöffnet, und jetzt
ist man nicht mehr in der Lage, diese Geister, die man da gerufen hat, wieder
kontrollieren zu können."
Der IS breitet sich aus und die USA versuchen ihn mit Hilfe
von Saudi Arabien zu bekämpfen. Dabei unterscheidet sich der Wahhabismus, die
saudische Staatsreligion, kaum von den Idealen des Islamischen Staates.
Nachweislich zahlen saudische Stiftungen und Privatleute viel Geld an den IS.
Für viele Muslime im Nahen Osten ist die Doppelmoral des
Westens nur schwer zu ertragen, sagt Lüders: "Diese Menschen hoffen, dass
der Westen etwas für die Demokratie tun möge, das ist aber bislang nie
geschehen. Gleichzeitig müssen sie sich arrangieren mit ihren furchbaren
Diktatoren. Sie leben also, als intelligente Muslime, zwischen dem Hammer
westlicher Heuchelei und dem Amboss unfähiger arabischer Regime, die nur daran
interessiert sind, ihre Macht zu verteidigen."
Michael Lüders "Wer den Wind sät: Was westliche Politik
im Orient anrichtet"
ISBN 978-3406677496
Verlag C.H. Beck, Juni 2015
ISBN 978-3406677496
Verlag C.H. Beck, Juni 2015
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